Klein-Passau an Erpe und Twiste

Bayerischer Defiliermarsch und Bierzelt-Atmosphäre beim politischen Aschermittwoch in Volkmarsen

Politischer Aschermittwoch ist eine Erfindung aus Bayern. Und seit 14 Jahren wird das Original aus Passau in einem kleinen nordhessischen Städtchen erfolgreich interpretiert und inszeniert.
Ein Prosit zum Beginn des politischen Stammtischabends: V.l. CDU-Stadtverbandsvorsitzender Tobias Scherf, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Bundestagskandidat Thmoas Viesehon und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.Ein Prosit zum Beginn des politischen Stammtischabends: V.l. CDU-Stadtverbandsvorsitzender Tobias Scherf, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Bundestagskandidat Thmoas Viesehon und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.
Mit seinem Auftritt am gestrigen Abend vor rund 2000 Zuschauern in der Nordhessenhalle hat Bayerns Ministerpräsident den um zwei Wochen verspäteten politischen Aschermittwoch in Volkmarsen geadelt.
Der Begriff „Klein Passau“ ist eine Wortschöpfung der Volkmarser CDU. Und sie ist berechtigt, wenn man auf den Besucherrekord von 3300 Gästen beim Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 schaut.
Lange schon hatten die Volkmarser auf einen Redner aus dem Mutterland des politischen Aschermittwochs gehofft. Dass gestern CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer persönlich auf die Bühne stieg, war wohl auch dem guten Draht zu seinem hessischen Amtskollegen Volker Bouffier geschuldet. „Bouffier hat ein gutes Wort für uns eingelegt“, war hinter den Kulissen zu hören.
Ärgernis Finanzausgleich
Schließlich verbindet die beiden wertkonservativen Landesväter eine Menge: neuerdings streiten sie sogar gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht für die Änderung des Länderfinanzausgleichs. Hessen und Bayern sind seit Jahren Nettozahler und müssen mit ansehen, wie den Bürgern in den Nehmerländern, allen voran Berlin, Geschenke gemacht werden, die Bayern und Hessen nicht leisten können.
Außerdem gelten Seehofer und Bouffier als die einzigen verbliebenen, konservative Gegenpole zu Angela Merkels unscharfer Konsenspolitik auf bundespolitischer Ebene.
Für beide Ministerpräsidenten dürfte das Superwahljahr 2013 mit Bundes- und Landtagswahlen auch zu einem Schicksalsjahr werden. Während Seehofer darauf hoffen darf, nach dem langwierigen Streit mit der FDP über die Abschaffung der Studiengebühren künftig wieder ohne Juniorpartner in München zu regieren, muss Volker Bouffier um den Wiedereinzug der FWP ins Wiesbadener Parlament bangen.
Ohne FDP dürfte es eng werden für die hessische CDU. Der knappe Wahlausgang in Niedersachsen und der Verlust der Regierungsmehrheit in Hannover dürfte auch Bouffier ständig vor Augen haben. Umso interessanter also, wie sich beide Unions-Spitzenpolitiker in Volkmarsen präsentieren: Der bayerische Defiliermarsch erklingt, als Horst Seehofer den Saal betritt. Den Defiliermarsch haben die Kugelsburg-Musikanten eigens für den Ehrengast aus Bayern einstudiert. Applaus brandet auf. - Ganz so wie in Passau.
„Mit dem Besuch beim Papst hat die Woche für mich begonnen und bei euch soll sie ausklingen. Der Defiliermarsch war richtig gespielt. Ich bin glücklich“, bekannte Seehofer als er endlich auf der Bühne angekommen ist.
Beim Fassanstich lässt er festzelterfahren seinem Kollegen Volker Bouffier den Vortritt: „Bei uns sticht immer der Gastgeber an.“ - Und der zeigt sich etwas unbeholfen, braucht elf, zwölf Schläge.

Blick auf Europa

„Das muss beim ersten Schlag klappen“, frotzelt Seehofer in Richtung der Fotografen und ist sichtbar froh, dass ihm das kleine Malheur nicht selbst passiert ist. In München ist die Zahl der Schläge für den Fassbieranstich auf dem Oktoberfest regelmäßig ein Thema, das Schlagzeilen macht.
Bei den wichtigen politischen Themen sind sich Seehofer und „der Volker“ aber einig: beide sprechen von der Wirtschaftskraft ihrer Länder, vom Wert der Bildungspolitik und vom Schrecken der Jugendarbeitslosigkeit: 60 Prozent in Griechenland, 30 Prozent in Schweden. Aber fast null in Bayern. Bouffier: Das hat natürlich etwas mit den fleißigen Menschen zu tun, aber auch mit der richtigen Politik.
Beide Spitzenpolitiker erweisen sich in Volkmarsen als erfahrene Redner. Ohne schriftliches Konzept präsentieren sie gekonnt ihre Positionen zu den aktuellen Themen und spielen sich dabei auch noch die Bälle zu. Seehofer: „Der Volker… hat ja gestern eine sehr starke Rede zu Ehe und Familie gehalten. Wir sind sind eine weltoffene Partei, aber wenn es um die Frage geht, was hält die Welt zusammen, dann dürfen wir nie einen Zweifel daran lassen, dass Ehe und Familie für uns die Grundlage sind. - Und wir sind gleichzeitig weltoffen und tolerant. Wir haben Respekt und Anerkennung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Aber Ehe und Familie müssen immer privilegiert gefördert werden, weil sie die Keimzelle unserer Gesellschaft sind.“
Beide finanzstarken Bundesländer leiden an den Tücken des Länderfinanzausgleichs. Seehofer: „Hessen und Bayern zahlen allein zwei Drittel des Länderfinanzausgleichs. Mit anderen Worten: Hessen und Bayern gehören zwei Drittel von Deutschland. Allein das Land Berlin bekommt von uns 3,3 Milliarde Euro. Wir sind allein wegen unseres Amtseids zur Notwehr verpflichtet. Unsere gemeinsame Klage richtet sich vor allem das Land Berlin.“
Und dann setzt Seehofer zu den politischen Seitenhieben an, für die auch Passau berühmt ist: „Im Bundesrat sitzt links von mir der Kretschmann aus Bad-Württemberg und rechts von mir der Wowereit. Das ist so eine Sandwhich-Situation...“

Deftige Seitenhiebe

Berlin biete seinen Studenten ein Begrüßungsgeld an, damit sie sich anmelden. Und dann bekomme Berlin wieder 50 bis 60 Millionen Euro mehr im Länderfinanzausgleich. Seehofer: „Und die Berliner kokettieren auch noch damit. Und wenn der Wowereit mir dann sagt: Wir sind arm, aber sexy, dann antworte ich immer: Wir sind reich, aber nicht blöd.“
Und dann noch so ein Passau-Spruch von Seehofer: „Irren ist menschlich. Aber immer irren ist sozialdemokratisch.“
Zu den diplomatischen Patzern des SPD-Kanzlerkandidaten meint der CSU-Chef: „In Zukunft besser den Mund zuhalten als die Hand aufhalten.“
Schließlich drängt Seehofer zur Eile, bittet darum, den Auftritt der Prinzengarde bis nach seiner Rede zu verschieben: „Es gibt in Bayern auch ein Nachtflugverbot. Deshalb muss ich so zeitig hier losfahren, damit ich pünktlich auf den Flieger zurück nach München komme.“ Seehofer fliegt ab Paderborn.